Die Talkrunde

  • Nach langer Zeit mal wieder was von mir.
    Personen und Handlungen natürlich wie immer frei erfunden. Evtl. Ähnlichkeiten mit lebenden Mitmenschen unbeabsichtigt, aber leider manchmal nicht zu vermeiden. ;)



    Mansollte den Fernseher immer ausschalten, bevor man einschläft!
    Ich kannte diesenSatz. Zu oft hatte ich ihn von Freundinnen gehört, die zum Frühstück gebliebenwaren.
    Das Problem dabei:Ich konnte gar nicht einschlafen, ohne diese monotone, latenteHintergrundbeschallung.
    Pawlow hätte seineFreude an mir gehabt: Kaum zeigt man mir einen Film, schon falle ich in einen tiefen,sanften Schlaf. Seitdem ich nun auch noch schnarche, hängen in denKassenhäuschen der Kinos meiner Heimatstadt Fotos von mir: Ich darf nurnoch zur Schülervorstellung rein.
    Doch seit zweiWochen ist alles anders.
    Es war einMittwoch, ich hatte mich schlaffertig gemacht, war ins Bett gegangen und zappteumher, bis ich bei einer Talkshow hängenblieb. Die üblichen Gäste – ich bin mirinzwischen nicht mehr sicher, ob die Moderatoren ihren Stuhl nicht häufigerwechselten, als diese mediengeilenDauerschwafler – diskutierten ein für meine televisionäre Narkolepsie äußerstvielversprechendes Thema: „Gesellschaft ohne Kirche – sind unsere christlichenWerte noch zu halten?“
    Zufriedenkuschelte ich mich in mein Kopfkissen und lauschte den Stimmen im Hintergrund,die sich mehr und mehr von mir entfernten. Irgendwann hörte ich Jemanden vonganz weit weg so etwas sagen wie, dass der Papst eingeräumt hätte, dasshomosexuelle Partnerschaften nur bedingt Sünde seien. Da wusste ich, dass ich meineTraumphase betreten hatte.
    Doch was dann kam,veränderte mein Leben:
    Ich finde mich alsGast in einer Talkshowrunde wieder. Reges Treiben um mich herum, eine Dame inden Vierzigern pudert meinen rechten Sitznachbarn ab. Ein gewisser Hans-WernerNachtigall, Politiker aus Bayern und intimer Kenner der deutschen Leitkultur.
    Zu meinemEntsetzen sehe ich jetzt Alma Weißer, Herausgeberin der Gleichstellungspostille„Frieda“, in angeregter Unterhaltung mit Bischoff Jakob Pilgermassen, demVerfechter des Zölibats auch während der Ehe, mir gegenüber Platz nehmen.
    Verzweifeltversuche ich zu fliehen, doch die Dame mit dem Puderdöschen drückt mich resolutauf meinen Platz zurück und beginnt, mein Gesicht großflächig zu bearbeiten,während sich Juliana Wagner, Mitbegründerin des Bundesverbandes erotischeund sexuelle Dienstleistungen(BesD) zu meiner Linken niederlässt.
    Herr Nachtigallbeugt sich über mich hinweg zu ihr hin: „Guten Tag, Frau Nelke-Döring! SagenSie mal ... waren Sie einmal in einem anderen Ressort? Sie kommen mirunwahrscheinlich bekannt vor!“
    „Ähöm ...“, stelleich die Situation klar. „Die Dame zu meiner linken ist nicht aus IhrerFraktion, Herr Nachtigall. Sie heißt Juliana Wagner, und ihr Ressort befindetsich in einem Domina-Studio hier in Berlin.“
    Nachtigallräusperte sich. „Oh! Äh, ach! Tatsächlich?“
    Er wirkt sichtlichnervös, Schweiß hat sich über seiner Oberlippe gebildet. Die Dame mit demPuderdöschen verdreht die Augen und macht sich erneut an ihm zu schaffen.
    Als Letzte gesellensich noch die richtige Karin Nelke-Döring, Gleichstellungsbeauftragte imFamilienministerium und Wanda Mosthügel, die eloquente Moderatorin dieser Rundezu uns.
    Es wird still imStudio, ein rotes Licht auf einer der Kameras leuchtet urplötzlich auf. Einerneuter Fluchtversuch scheitert. Meine Beine gehorchen mir – wie in allenschlechten Träumen - nicht mehr.
    Frau Mosthügelstellt das Thema: „Das neue Prostitutionsgesetz: Segen oder Fluch fürSexarbeiter(innen)?“, und mich als Vertretung der Föderation rechtsstaatlichintegrierter Erotikkonsumenten (FreiEr) vor.
    Ich: „Moment mal,ich ...“
    Mosthügel: „Siesind später dran! Meine erste Frage geht an Frau Wagner: Werden Sie zurProstitution gezwungen?“
    Wagner: „Abernein, ich ...“
    Weißer unterbrichtsie: „Lügen! Diese Frauen lügen doch, weil sie von ihren Zuhältern dazugezwungen werden!“
    Nachtigall: „Dasist eines unserer größten Probleme: Unsere Polizei, die in Bayern im Übrigenhervorragende Arbeit leistet, ist überfordert mit der Ausräucherung dieserganzen Lasterhöhlen! Wir sollten erwägen, das Militär ...“
    Mosthügel versucht,ihn an dieser Stelle zu unterbrechen, er redet dennoch weiter, wird aberunverständlich, weil ihm inzwischen auch Frau Weißer ins Wort gefallen ist.
    Mosthügel zögerteinen Moment, dann geht sie noch lautstärker dazwischen: „Bitte, bitte! Einernach dem Anderen!“
    Weißer redet nocheine Weile weiter, Nachtigall schweigt schmollend.
    Mosthügel versuchtes erneut: „Gleich, Frau Weißer! Sie sind gleich dran! Versprochen!“
    Weißer nimmtfeixend ein Schluck Wasser aus ihrem Glas, während Mosthügel sich dem Kleruszuwendet:
    „BischoffPilgermassen, macht Frau Wagner für sie den Eindruck einer Frau, die zurProstitution gezwungen wird?“
    Pilgermassen: „DieSünde hat viele Gesichter! Wir sollten unsere fehlgeleiteten Schafe auf denPfad der Tugend zurückführen.“ Er wird unruhiger. „Sex ist das Werk desTeufels, er vernebelt uns die Sinne!“ Jetzt gerät er in Wallung, er spuckt in dieRunde, während er ausruft; „Diese Gier! Eine unserer Todsünden! Dieseunersättliche Gier ...!“
    Betretene Stilleim Studio.
    Pilgermassen wischt sich mit einem Taschentuch den Geifer vom Mundund fährt wieder etwas gelassener fort:
    „Der Liebesaktkann doch nur erfüllt sein, wenn er von zwei Menschen, die ihre Liebe vor Gottlegitimiert haben, in inniger Umarmung und im Dienste der Erhaltung derChristenheit auf Erden vollzogen wird.“
    „Woher wissen Siedas?“, platz es aus mir heraus, und ich ernte böse Blicke aus verschiedenenRichtungen.
    KarinNelke-Döring ergreift das Wort: „Vielen Dank für die richtungsweisenden Worte, Hochwürden! Ichdenke auch, dass Maßlosigkeit keine Antwort auf die brennenden Fragen unsererGesellschaft ist. Solange Männer ungestraft Sexualität als Ventil für eigeneUnzulänglichkeiten nutzen dürfen, werden weiterhin zigtausende vonZwangsprostituierten und Sexsklavinnen in unserem schönen Land Bordelle undStraßen überfluten!
    Wie müssen dieProstitution im Keim ersticken und nicht nur die Frauen bestrafen, sondern auchdie Freier inhaftieren!“
    Frau Weißer erhebtsich und klatscht frenetisch Beifall, und auch Herr Nachtigall nicktbegeistert.
    Zwei Polizistenkommen auf mich zu und legen mir Handschellen an. Aus den Augenwinkeln sehe ichHerrn Nachtigalls verklärten Blick, als er die Szenerie beobachtet.
    Zusammen mit FrauWagner werde ich abgeführt und in einen dunklen Verhörraum gebracht.
    Hinter der Lampe,die mir ins Gesicht scheint, sitzt eine dunkle Gestalt.
    „Mein Sohn! Washabe ich nur falsch gemacht? Du gehst in den Puff?“
    Als ich die Stimmemeiner Mutter vernehme, wache ich schweißgebadet auf.


    DenFernseher aus dem Schlafzimmer habe ich gleich Donnerstag bei derFlüchtlingshilfe abgegeben.
    Zum Einschlafenlese ich wieder Bücher.

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  • ...lach....Sehr schön, das du mal wieder etwas hier geschrieben hast, denn das war absolut erfrischend, zu Tränen in die Augen treibend lustig und hat richtig, richtig Spaß gemacht!!
    Dickes, dickes FREU!!!!

  • Merci!
    Freut mich wirklich, dass es dir gefällt! :)

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